Zur Eingliederung der Vertriebenen.

Zur Eingliederung der Vertriebenen.

Beitragvon -sd- » 11.08.2020, 13:05

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Die deutliche Sprache der Zahlen.
Eingliederung der Vertriebenen eine wichtige Aufgabe des Bundestages.

Von unserem Bonner O. B. - Mitarbeiter

Am 6. September 1953 wählte das deutsche Volk Westdeutschlands seinen neuen
Bundestag. Ihm wird — nachdem der alte Bundestag das nicht vermocht hatte —
die Aufgabe zufallen, die Eingliederung der Vertriebenen zu vollenden. Es ist aus
diesem Grunde angebracht, darzutun, welche große Aufgabe für die kommenden
vier Jahre noch bevorsteht.

Unter den Vertriebenen waren am 1. Januar 1953 noch fast doppelt so viele arbeits-
los wie bei den Einheimischen. Obwohl der Anteil der Vertriebenen an der Gesamt-
bevölkerung nur 17 Prozent ausmacht, betrug der Anteil der Vertriebenen an den
Arbeitslosen 29,5 Prozent. In den einzelnen Ländern waren die Verhältnisse wie folgt:
Schleswig-Holstein Vertriebenenanteil an der Gesamtbevölkerung 30 Prozent,
Vertriebenenanteil an den Arbeitslosen 48 Prozent, Hamburg 9 Prozent bzw.
8 Prozent, Niedersachsen 26 Prozent bzw. 40 Prozent, Bremen 11 Prozent bzw.
12 Prozent, Nordrhein-Westfalen 12 Prozent bzw. 15 Prozent, Hessen 17 Prozent
bzw. 27 Prozent, Rheinland-Pfalz 8 Prozent bzw. 10 Prozent, Baden-Württemberg
15 Prozent bzw. 36 Prozent, Bayern 21 Prozent bzw. 33 Prozent.

Hinsichtlich der Dauer der Arbeitslosigkeit liegen für den 1. Januar 1953 keine
Zahlen vor. Nach etwas älterem Material waren von den 127.000 Erwerbslosen, die
länger als achtzehn Monate ohne Arbeit waren, 66.000, also 52 Prozent, Vertriebene.
Die Vertriebenen sind also die strukturellen Arbeitslosen, während die Einheimischen
fast nur noch saisonbedingte Arbeitslosigkeit kennen.

Die gewerblichen Unternehmen von Vertriebenen machen 6,4 Prozent aller Unter-
nehmungen Westdeutschlands aus; bei einem Anteil der Vertriebenen an der Gesamt-
bevölkerung in Höhe von 17 Prozent ein wesentlich zu geringer Prozentsatz. Die
Beschäftigten in Vertriebenenbetrieben bezifferten sich sogar nur mit 4,9 Prozent
aller in gewerblichen Betrieben Westdeutschlands tätigen Personen; es ist ein Beweis
dafür, daß die wenigen Vertriebenenbetriebe auch noch wesentlich zu klein sind.

Unter den selbständigen Landwirten des Bundesgebietes machten am 1. Juni 1952
die Vertriebenen 1,5 Prozent aus. Im Verhältnis zu dem Anteil, den die Vertriebenen
an der Gesamtbevölkerung innehaben (17 Prozent), ist dies ein erschütterndes Ergeb-
nis. Bisher sind seit 1945 etwa 40.000 ostdeutsche Bauern wieder als Selbständige
in der Landwirtschaft angesetzt (wenn auch vielfach nur auf Pachtbetrieben und auf
Zwergbetrieben). Ein Vielfaches dieser 40.000 wartet noch auf einen Hof.

Von hundert Unterstützungsempfängern (außer Arbeitslosenunterstützungsempfänger
waren in Westdeutschland nicht weniger als 53 Vertriebene.

Von hundert Wohnparteien wohnten bei den Vertriebenen 22 Prozent als Wohnungs-
inhaber in Normalwohnungen, 10 Prozent als Wohnungsinhaber in Notwohnungen
und 68 Prozent als Untermieter. Bei den Einheimischen sahen die gleichen Ziffern
wie folgt aus: Wohnungsinhaber in Normalwohnungen 61 Prozent, Wohnungsinhaber
in Notwohnungen 4 Prozent, Untermieter 35 Prozent. Diese Angaben beziehen sich
zwar nicht auf das Jahr 1953, sondern auf die letzte Wohnungszählung; die Verhält-
nisse haben sich jedoch inzwischen nicht wesentlich geändert.

Eindeutiger als viele Worte und lange Abhandlungen beweisen diese Zahlen, wie
außerordentlich groß noch die Aufgabe ist, die der neue Bundestag im Hinblick auf
die Lösung des Vertriebenenproblems wird zu erfüllen haben.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 15. September 1953

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Eingliederung 1954: Ein wenig erfreuliches Bild.

Beitragvon -sd- » 13.09.2021, 11:13

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Eingliederung: Ein wenig erfreuliches Bild.
Eine Debatte im Bundestag.


Die Fraktion der SPD hatte an die Bundesregierung in einer Großen Anfrage eine Reihe
von Fragen gestellt, die Vertriebenenminister Prof. Dr. Oberländer namens der Bundes-
regierung beantwortete. Die sich hieran anschließende Debatte brachte einen interes-
santen Einblick in den Stand der Eingliederung der Vertriebenen.

Bis Ende 1953 konnten nach den Angaben des Vertriebenenministers 59.000 selbstän-
dige Handwerker, 44.000 Selbständige in Handel und Verkehr und 2.400 Inhaber von
Industriebetrieben in Westdeutschland wieder eingegliedert werden. Bei dieser an sich
erfreulichen Leistung darf jedoch nicht übersehen werden, daß unter allen Selbständigen
in der gewerblichen Wirtschaft der Bundesrepublik nur fünf Prozent Vertriebene sind,
während der Anteil der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung siebzehn Prozent aus-
macht.

Seit Inkrafttreten des Flüchtlingssiedlungsgesetzes (1949) sind insgesamt 53.000 Ver-
triebene und Sowjetzonenflüchtlinge in die Landwirtschaft im Wege der Neusiedlung
oder durch Übernahme bestehender Höfe eingegliedert worden. Für das Jahr 1954 ist
mit 16.000 neuen Hofstellen zu rechnen. Davon werden allerdings zwei Drittel nur
Nebenerwerbsstellen sein, von denen wiederum die Hälfte kaum über die Größe eines
Gemüsegartens hinausgehen. Von einer wirklichen landwirtschaftlichen Eingliederung
kann man demnach nur in etwa 10.500 Fällen sprechen. Bedenkt man, daß die Land
begehrenden ostdeutschen Bauernfamilien die Zahl von 100.000 weit überschreiten,
so ist das Ergebnis nicht zufriedenstellend.

Die Diskussion des Bundestages konzentrierte sich infolgedessen stark auf die Ein-
gliederung der vertriebenen Bauern. Daß das Programm der Bundesregierung in zwei
Jahren 40.000 Bauern wiedereinzugliedern, nicht erfüllt werden wird, scheint eine
unabwendbare Tatsache zu werden. Wie wenig die Wiederseßhaftmachung der Bauern
geglückt ist, zeigte eine Zahl, die in der Debatte herausgekehrt wurde: unter allen
selbständigen Landwirten der Bundesrepublik machen die Vertriebenen nur etwa 0,5
Prozent aus (bei einem Bevölkerungsanteil von siebzehn Prozent). Die Redner hoben
hervor, daß die Eingliederung gefördert werden könnte, wenn man den Eigentümern
auslaufender Höfe eine günstige Altersrente im Falle der Zurverfügungstellung des
Hofs gewähren würde.

Im Jahre 1949 waren etwa 38 Prozent aller Arbeitslosen Vertriebene. Ende August 1954
sind es nur noch 25,7 Prozent. Es ist nicht nur bedenklich, daß der Anteil noch um mehr
als acht Prozent über dem Anteil der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung liegt,
man muß auch bedenken, daß die Zahl für 1954 sich auf den Monat August bezieht, in
dem erfahrungsgemäß die Arbeitslosenzahlen am niedrigsten zu sein pflegen. Gerade
unter den Vertriebenen ist ein unverhältnismäßig großer Teil in saisonalen Berufen,
z. B. der Bauwirtschaft, beschäftigt, so daß von einer dauerhaften Eingliederung
her betrachtet die Verhältnisse noch ungünstiger liegen.

Zur wohnraummäßigen Unterbringung der Vertriebenen berichtete der Minister, daß
1950 = 68 Prozent aller vertriebenen Wohnparteien schlecht untergebracht waren. Zu
Anfang dieses Baujahres wird dieser Prozentsatz auf etwa 54 Prozent gesunken sein.
Bei den Einheimischen betrug der Prozentsatz schlechter Wohnungen schon 1950 nur
rund 30 Prozent; auf dem Wohnungssektor ist also noch viel zu tun.

Die Kritik des Parlamentes richtete sich vor allem gegen die Umsiedlung, die ja in
erster Linie von dem Umsiedlungswohnungsbau abhängig ist. Prof. Oberländer gab
bekannt, daß das alte Umsiedlungsprogramm der Umsiedlung von 900.000 Vertriebe-
nen, das im Frühjahr 1950 vom Bundestag beschlossen wurde, nicht mehr in diesem
Jahr abgewickelt werden wird, sondern daß ein Übergang bis in das Jahr 1956 unver-
meidbar sein wird. Für ein neues Umsiedlungsprogramm von 300.000 Vertriebenen
werden die Vorarbeiten in Angriff genommen.

Eine wenig erfreuliche Bilanz zeigte sich hinsichtlich der Lagerräumung. Heute sind
noch etwa 290.000 Lagerinsassen vorhanden. In diesem Jahre wird es gelingen, Lager
mit insgesamt 30.000 Insassen aufzulösen. Im nächsten Jahre 1955 sollen etwa 40.000
Lagerinsassen durch Schaffung von etwa 10.000 Neubauwohnungen in vernünftige
Wohnverhältnisse überführt werden.

Quelle: OSTPREUSSENBLATT, 2. Oktober 1954

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