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Jugendliebe überdauerte die Zeit.

BeitragVerfasst: 08.10.2021, 09:09
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Jugendliebe überdauerte die Zeit.
Nach 50 Jahren Trennung durch den Eisernen Vorhang finden eine Deutsche
und ein Pole wieder zusammen.


In den Wirren der Nachkriegszeit waren sich die Fabrikantentochter aus dem einst
brandenburgischen Bärwalde, Elvira Profé, und der Bauernsohn aus der Nähe von
Vilnius, Fortunat Mackiewicz, begegnet. Bis Ende 1944 war das Leben in Bärwalde
für die Familie Profé beschaulich gewesen. Elviras Vater Walter besaß eine Fabrik
für Zollstöcke und Wasserwaagen. Nach ganz Deutschland lieferte er seine Meß-
geräte. Seit der Nacht zum 31. Januar 1945 war für die Familie nichts mehr wie
zuvor. Die deutsche Bevölkerung wurde vertrieben, weil die Sowjetarmee hier in
der Nähe der Oder ihre Truppen für den bevorstehenden Schlag auf Berlin kon-
zentrierte. Für eine Rettung war es zu spät. Elvira Profé wurde von den Eltern
getrennt. Wie viele Bärwalder kam die damals 19-Jährige in ein Arbeitslager.
Zunächst in das nur wenig östlicher gelegene Soldin (Mysliborz), wenig später
wurde sie zur Zwangsarbeit nach Sibirien deportiert.

Während sie mit anderen Deutschen aus Bärwalde in einem Viehwaggon über
Moskau und Archangelsk den Arbeitslagern von Workuta entgegenfuhr, machte sich
Fortek mit seiner Familie in die entgegengesetzte Richtung auf: nach Westpolen.
Denn auch die Familie Mackiewicz hatte ihre Heimat verlassen müssen, die sich
die Sowjetunion einverleibte. Wie so viele Menschen aus dem ehemaligen polni-
schen Osten sollten sie neue Wurzeln an der Oder schlagen, in den verlassenen
Häusern der Deutschen. „Wir dachten damals nicht daran, was wir verloren. Wir
waren froh, unser Leben zu retten“, erinnert sich Fortek Mackiewicz. Mit der
Familie reisten Kühe, ein Pferd, Schweine und Hühner: die wichtigste Habe für
einen Neuanfang im Ungewissen. Als im Juni nach wochenlanger Fahrt der Trans-
port an der Oder ankam, hatte die polnische Lokalverwaltung für Bärwalde schon
einen neuen Namen gefunden. Zu diesem Zeitpunkt lebten nur noch 18 Deutsche
im Ort. Vor dem Krieg waren es etwa 3.800 gewesen.

Elvira lag derweil mit Scharlach in einem sibirischen Lazarett. Die schwere Arbeit
im Straßenbau hatte sie krank gemacht. Sie wurde mit dem ersten Krankentrans-
port nach Deutschland geschickt. Im Frühjahr 1946 traf sie in Frankfurt (Oder)
ein. Zufällig erfuhr sie dort, daß ihre Eltern immer noch östlich der Oder lebten.
Das Haus hatten die Russen bei ihrem Abzug angezündet, aber sie lebten.
Polnische Fischer brachten die Tochter nachts über die gesperrte Oder.

An ihr erstes Treffen erinnert sich Fortek Mackiewicz genau: „Ein schmales,
blasses Mädchen, das bei meiner Mutter um Milch bat.“ Liebe auf den ersten
Blick sei es für ihn nicht gewesen. „So ärmlich, wie sie war, wog nur 49 Kilogramm.
Sie war keine Prinzessin,“ sagt er und blickt liebevoll auf seine Frau hinunter.
Sie erwidert: „Bei mir schon. Ich konnte gar nicht aufhören, ihn anzusehen.“

Doch viel Zeit für Gefühle hatte Elvira nicht. Sie mußte fürs tägliche Brot arbeiten
und verbrachte viel Zeit auf dem Mackiewicz-Hof. Wann aus Freundschaft Liebe
wurde, wissen sie nicht mehr. Aber eine Liebe zwischen der Deutschen und dem
Polen war nur heimlich möglich. Ein Versuch Forteks, die Erlaubnis zur Hochzeit
einzuholen, wurde vom Polizeikommandanten abgelehnt. An Kampf war nicht zu
denken, die Deutschen lebten ständig in Angst und mußten im Herbst 1947 das
Land verlassen. Sie hatten sogar Angst, sich zu schreiben. Nur Forteks Paßbild
hatte Elvira all die Jahre, die sie zum größten Teil in Westberlin verbrachte, im
Portemonnaie. Geheiratet hatte sie nie.

Im Herbst 1991 machte sie sich auf den Weg in die alte Heimat. Dort aber lebte
Fortek nicht mehr. Er war mit seinen Eltern in die Masuren gezogen. Aber eine
Dorfbewohnerin erinnerte sich noch an das Liebespaar. Von ihr erfuhr Fortek von
Elviras Besuch und schrieb ihr.

Von ihrem Wiedersehen in Mieszkowice an haben die beiden sich nicht mehr ge-
trennt. Vor neun Jahren bauten die beiden dort ein Haus, vor einem Jahr haben
sie geheiratet.

Quelle:
Dienstag, 12. Dezember 2006 | OSTSEEZEITUNG / Ostseeumschau (dort mit Bild).
Verfasserin: Melanie Longerich.

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