Ein Thema, das zu DDR-Zeiten tabu war.

NKWD-Speziallager.

Ein Thema, das zu DDR-Zeiten tabu war.

Beitragvon -sd- » 29.01.2021, 17:56

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Mehrere meiner Anverwandten wurden nach Kiegsende von russischen
Soldaten als vermeintliche Kiegsverbrecher ohne Gerichtsverfahren
erschossen. Zu DDR-Zeiten war das Thema tabu.
Gab es nach der Wende eine wissenschaftliche Aufarbeitung
der Geschehnisse
? Kann jemand Literaturstellen angeben ?

Klaus-Dieter Schulze


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Danke für die umfangreichen Informationen. Klaus-Dieter Schulze



Setze Dich doch mal mit der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
in Verbindung. Zu der Thematik gibt es mehrere Websites, u.a. zu dem
Speziallager Oranienburg, in der u.a. der Schauspieler Heinrich George,
Vater von Götz George, inhaftiert war, der dort umkam. Die Sowjets
hatten das früheren KZ Oranienburg in das Speziallager umgewandelt.
Um dort inhaftiert zu werden, genügte eine einfache Denunziation
oder der Verdacht, man sei ein Gegner der Besatzungsmacht oder ein
"Faschist" o.ä. Die dort Inhaftierten wurden ohne Urteil festgehalten.
In Oranienburg wurden nach der Räumung des KZs laut Wikipedia-Seite
'Speziallager Sachsenhausen' zwischen 1945 und 1950 ca. 60.000
Personen inhaftiert, von denen ca. 12.000 starben. Auf der Website
findest Du auch viele Nachweise zu dem Thema.

Ganz klar, daß das Thema in der DDR totgeschwiegen wurde, und auch
heute würde mancher DDR-Nostalgiker das vermutlich gar nicht glauben.

Klaus Pfeiffer

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Schau doch mal im Internet nach unter:
- 'Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft' (UOKG) und
- 'Vereinigung der Opfer des Stalinismus' (VOS e.V.)

Micha

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Es gibt keine / kaum Aufarbeitung. Die direkt beim Einmarsch der Roten
Armee exekutiert wurden (z. B. Gutsbesitzer, Bauern, NSDAP-Mitglieder,
Denunzierte, etc.) stehen i. d. R. in den Kirchenbüchern oder den Sterbe-
urkunden des zuständigen Standesamts (beides einsehen, da oft lückenhaft).
Die in den Lagern umgekommen sind und irgendwo verscharrt wurden,
sind oft nirgends verzeichnet (nicht in den Kirchenbüchern, nicht im
Standesamt). Bei den zuständigen Stellen nachfragen (z. T. schon genannt),
dann stellt das dort zuständige Standesamt eine Sterbeurkunde aus,
sofern der Tote verzeichnet ist.

Vom Speziallager Sachsenhausen gibt es z. B. ein Totenbuch.

Viele Namen und Links auf meiner Seite über Hennigsdorf:
http://www.euhausen-klaus.de/hennigsdorf

Klaus Euhausen, Hennigsdorf a. H.

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Zumindest für das NKWD-Speziallager 3 (Hohenschönhausen), das von
Mai 1945 bis Oktober 1946 existierte, gibt es ein Totenbuch. Hier sind
rund 700 Verstorbene verzeichnet.

Weitere Infos zu den Speziallagern auch unter
https://de.wikipedia.org/wiki/Speziallager

Norbert Henkel

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Es gibt reichlich Archivmaterial (z. B. Sterbebücher der Standesämter, Kirchen-
bücher, Bundesarchiv, BLHA) und einiges an interessanter Literatur (seit dem
Ende der SED-Diktatur erschienen), die sich mit dem Einmarsch der Roten
Armee (und Verbündete) im Landstrich zwischen Elbe und Oder beschäftigt.
Wer will, kann sich i. d. R. problemlos informieren (sofern die Gebiete nicht
östlich von Oder und Neiße liegen), über willkürliche Erschießungen, Miß-
handlungen mit Todesfolge, Vergewaltigungen durch Angehörige der Roten
Armee (oder Verbündete), Selbsttötungen, Racheakte von Zwangsarbeitern,
Verhungerte in den Wochen und Monaten nach April/Mai 1945 (insbesondere
im Winter 45/46), etc.

Die zuvor aufgezählten Taten erfolgten im Zusammenhang mit Kampfhand-
lungen, im Zuge der "Eroberung" oder nach Kampfhandlungen oder bei völlig
"kampfloser Besetzung".

Viele Tötungsdelikte erfolgte auch weit nach Mai 1945. Oft war Alkohol im
Spiel.

Der Gutsbesitzer Brockmann in Mildenberg wurde willkürlich erschossen
(weil er "Junker" war und nicht die Flucht ergriffen hatte. Kampfhandlungen
fanden nicht statt), der Bauer Kubusch in Mildenberg wurde erschossen, weil
er seinen PKW nicht rausgeben wollte, der Mühlenbesitzer Trambow wurde
erschossen, weil er sich einer von Rotarmisten bewachten Brücke näherte,
usw. ...
In Löwenberg/Mark wurden zehn Männer erschossen, weil sie den Befehlen
der Besatzer nicht sofort Folge leisteten ... (alles im April/Mai 1945).

Ich habe die Ereignisse in meinem Wohnort Hennigsdorf kürzlich aufge-
arbeitet:
http://www.euhausen-klaus.de/Euhausen_K ... gsdorf.pdf

Klaus Euhausen, Hennigsdorf

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Das sind regelmäßig die Todesfälle, bei denen die Todesursache im Nach-
hinein im Sterbebuch des Standesamts geschwärzt wurde.

Marthina Rohde

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Ich kann nur ganz konkret aus dem Standesamt Hennigsdorf (und aus den
Kirchenbüchern) zitieren. Im Sterbebuch der Stadt Hennigsdorf ist dies-
bezüglich nichts geschwärzt, alles "liegt offen" und wird klar benannt
("nach Mißhandllung durch Russen gestorben", "Selbsttötung nach Verge-
waltigung", "Kind geboren, durch russische Vergewaltigung gezeugt",
"alter Mann erschossen, weil ein russischer Soldat zur Tochter ins
Zimmer wollte", "verhungert", usw, dies sind nur Beispiele).

Erst als im Herbst 1945 der Standesbeamte wechselt und ein "regimetreuer
Beamter" fortan die Bücher führte, änderte sich der "Sprachgebrauch".

Was ich in meiner Aufzählung noch vergessen habe, sind (für Hennigsdorf
Dutzende von "per Kopfschuß erledigte" Volkssturmmänner. Alle Volkssturm-
männer, die beim Einmarsch noch "auf der Straße waren", weil sie von den
Rotarmisten nicht als Kombattanten anerkannt wurden, aus der Entfernung
von Scharfschützen oder aus der Nähe per Kopfschuß "ausgeschaltet" wurden.

Buchenwald 1945-1950 z. B. ist online:
http://totenbuch-speziallager.buchenwal ... /list/q/a/

Klaus Euhausen, Hennigsdorf

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Die von mir stammenden Texte kannst Du gern übernehmen.
Gruß von der oberen Havel an die untere Elbe. Klaus Euhausen
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Re: Ein Thema, das zu DDR-Zeiten tabu war.

Beitragvon -sd- » 10.03.2021, 15:24

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Es stand in der Tageszeitung MOZ:

Mit einem digitalen Toten-Buch hat die Stiftung brandenburgischer
Gedenkstätten Opfern des einstigen sowjetischen Speziallagers
Sachsenhausen Namen und Würde zurückgegeben.
...

11.890 Gestorbene sind mit Namen, Geburts- und Sterbedatum
sowie der Herkunft erfaßt worden.

Leider war keine Web-Adresse angegeben.

Klaus Binder

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In Sachsenhausen gab es nach dem Zweiten Weltkrieg ein Lager
des Sowjetischen NKWD. Dort sind drei Massengräber und eine
Gedenkstätte. Ich habe die Orte besucht (Ich wohne hier.)
In der Gedenkstätte gibt es ein Totenbuch mit 12.000 Namen.

Ich habe ein Formular bekommen. (Verbleibsanfrage / Auskunft).

Adresse:
Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten
Herbert Heitzer
Heinrich-Grüber-Platz
16515 Oranienburg

Tel.03301 810916
Fax 03301 810928

Es gibt eine AG Lager Sachsenhausen 1945 -1950 e.V.
Dort sind Überlebende und Familienangehörige vertreten.

AG Lager Sachsenhausen
http://www.joachim-krueger.de/index.php ... =37&idn=45

Gruß an alle, die hier forschen
Peter Leymann

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Re: Ein Thema, das zu DDR-Zeiten tabu war.

Beitragvon -sd- » 29.03.2021, 20:05

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Dokumentation.
Gedenkstätte Hohenschönhausen veröffentlichte Totenbuch.

Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen hat ein Totenbuch des
sowjetischen Speziallagers Nr. 3 veröffentlicht. Darin sind die Namen
von rund 700 Inhaftierten dokumentiert, die am sowjetischen Lager-
standort Berlin-Hohenschönhausen zwischen 1945 und 1948 ums
Leben kamen.

https://www.stiftung-hsh.de/geschichte/ ... totenbuch/

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