Die Geschichte der lippischen Ziegler.

Einige Berufsgruppen und deren Arbeitsbedingungen
u.a. Eisenbahner, Postbedienstete, Lehrer/innen, Förster, Müller, 'Unstete Berufe'.
Biographien deutscher Parlamentarier 1848 bis heute.

Die Geschichte der lippischen Ziegler.

Beitragvon -sd- » 07.12.2018, 20:40

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Im 19. Jahrhundert verließen bis zu 40 Prozent aller männlichen Erwerbstätigen in jedem
Frühjahr das Fürstentum Lippe. Bis zum Herbst arbeiteten sie im Norden Deutschlands,
in den Niederlanden, in Skandinavien und Osteuropa auf Ziegeleien. Die saisonale Wander-
arbeit der lippischen Ziegler geht bis in das 17. Jahrhundert zurück. Die Verwaltung des
Fürstentums Lippe registrierte sie in allen Einzelheiten. Für die Jahre von 1778 bis 1869
gibt es im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen (LAV NRW), Abteilung Ostwestfalen-Lippe,
in Detmold über 100.000 Daten zu mehr als 30.000 Zieglern. Nirgendwo sonst auf der Welt
lassen sich so viele und dichte Informationen zu Saisonarbeitern mit Herkunft und Zielort
für eine derart lange und frühe Zeit in diesem Umfang finden. Für die Geschichte der Mi-
grationen, der Arbeit und der Familie sind sie von unschätzbarem Wert, aber auch für
Genealogen mit Vorfahren aus Lippe.

Dank der Zusammenarbeit zwischen dem Internationalen Institut für Sozialgeschichte in
Amsterdam (IISG) und dem LAV NRW werden diese Daten, eingebettet in ihrem historischen
Kontext, zur Verfügung gestellt
.

Die historischen Dokumente werden in diesem Portal in drei Formen angeboten:
◾als Digitalisate der Archivalien, in vielen Fällen versehen mit einer Transkription
◾in Informationen zu den einzelnen Quellengruppen
◾als Datenbank, in der die Personennamen aus den Pass- und Ziegelbotenlisten so gespeichert
sind, daß man sie bequem nach Namen, Herkunftsort in Lippe und Zielort recherchieren kann.
Von der Datenbank gibt es unmittelbare Verknüpfungen mit den Digitalisaten, um z. B. die
Transkription zu überprüfen

Wir empfehlen Forschern, die an Namen interessiert sind, die Recherche im Portal immer mit
einer Suche in der Datenbank zu beginnen.

Für weitere Informationen: email plo@iisg.nl

Quelle: International Institute of Social History.
http://www.iisg.nl/migration/ziegler/index.php

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Die Geschichte der lippischen Ziegler.

Die Spezialisierung der lippischen Wanderziegler entstand aus der "Hollandgängerei", also aus
der Arbeitsmigration nach Holland und Friesland zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Die früheste
Erwähnung von lippischen Zieglern läßt sich im Jahr 1657 für den Ort Weener (Ostfriesland)
nachweisen. Die Regierung hat lange versucht, diese Form der Wanderarbeit zu verhindern;
schließlich mußte sie sie jedoch akzeptieren, weil sie sich zu einer wichtigen Verdienstquelle
für die Einwohner entwickelte, die mit dem Lohn Steuern und Pachten bezahlen konnten.
Zudem entlastete die Wanderarbeit die Armenkassen. 1776 wurden die Hollandgänger erst-
mals offiziell gezählt und seit 1778 Pässe ausgefertigt. Hinzu trat die Forderung der Regierung
an die Boten, jährlich eine Liste der von ihnen vermittelten Personen aufzustellen. Die admi-
nistrativen Vorgaben von 1778 blieben im Wesentlichen bis 1869 in Kraft. Die Zahl der lippi-
schen Ziegler wuchs von 288 Männern im Jahr 1790 auf 7.786 im Jahr 1860. In den 1880er und
1890er Jahren gab es 12.000 lippische Ziegler, das Maximum von etwa 14.000 wurde um 1900
erreicht. Nach dem Ersten Weltkrieg sank die Zahl stark ab auf etwa 5.000.

Vom 17. bis weit in das 19. Jahrhundert waren die lippischen Ziegler in der Regel in Ziege-
leien beschäftigt, deren Produktionskapazität für die Beschäftigung einer oder mehrerer
lippischer Zieglergruppen ausreichte. In den Ziegeleien an der nordöstlichen niederländi-
schen und deutschen Nordseeküste sowie in großen Betrieben in Schleswig-Holstein und
Jütland blieben die Ziegler deshalb unter sich. In anderen Gebieten (Norwegen, Schweden,
Polen, West-Rußland, Österreich-Ungarn, ebenso in Westfalen) arbeiteten die Lipper stets
in Konkurrenz mit anderen Arbeitswanderern.

Während einer Saison war eine lippische Gruppe, bestehend aus durchschnittlich nur fünf
bis acht Männern, verantwortlich für den gesamten Produktionsprozeß, vom Mischen des
Tons bis zum Brennen der Ziegel und ihrer Vorbereitung für den Versand. Die lippischen
Ziegler arbeiteten im Gruppenakkord, wobei sie gemäß der Absprache über die Entlohnung
einen festen Betrag für tausend gut gebackene Ziegel erhielten. Entscheidend für die
Produktivität einer Zieglergruppe war die Qualität der Zusammenarbeit aller Mitglieder.
Vom Endlohn wurden die Kosten für das gemeinsame Mittagessen und den Kaffee (die
"Kommunerechnung" - daher die Bezeichnung der Gruppe als 'Lipper Kommune') sowie die
etwaigen Vorschüsse abgezogen. Der Brandmeister verteilte anschließend die Summe an
die Mitglieder der Gruppe entsprechend ihren Funktionen. Je besser sie zusammenarbei-
teten, desto höher fiel der Verdienst der gesamten Gruppe und dementsprechend auch
der des einzelnen Zieglers aus. Daher probierte jede Gruppe während der Winterpause,
die schwächsten Mitglieder aus der Gruppe auszuschließen und als Ersatz bessere Arbeits-
kräfte zu gewinnen. Aus Sicht des einzelnen Zieglers kam es umgekehrt darauf an, sich
einer möglichst gut arbeitenden Gruppe anzuschließen. Mit Ausnahme der Brandmeister
war, wie sich den Quellen entnehmen läßt, eine ziemlich großer Fluktuation in den Grup-
pen die Folge. Das lippische System der Wanderziegler war also geprägt sowohl durch die
Zusammenarbeit als auch durch ein individuelles Karrierestreben. Im Rahmen des staat-
lichen kontrollierten Vermittlungssystems konnten viele besitzlose lippische Untertanen
sich auf diese Weise ein schwer errungenes, aber ziemlich gutes Einkommen verschaffen.
Am Ende des 19. Jahrhunderts verschwanden diese besonderen Arbeitsverhältnisse all-
mählich, nachdem der technische Fortschritt die Saisonabhängigkeit verringert, die
Mechanisierung zu einer Vergrößerung der Betriebe geführt hatte und der Gruppenakkord
vom individuellen Zeitlohn abgelöst worden war.

Quelle: International Institute of Social History.
http://www.iisg.nl/migration/ziegler/geschichte.php

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Hollandgänger.

Beitragvon -sd- » 26.06.2022, 20:25

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Viele Deutsche haben Verwandte im Nachbarland. Wanderarbeiter
verdienten sich in Holland bis zum Ersten Weltkrieg ein Zubrot
.

Was macht ein Niederländer bei einer Tagung Oldenburger Familien-
forscher in Varel ? Tobias Wagenaar aus Groningen lacht. „Fast alle
Groninger haben deutsche Vorfahren“, sagt das Vorstandsmitglied
der „Nederlandse Genealogische Vereniging“, der am Stand seines
Vereins über die Möglichkeiten der Ahnenforschung in den Niederlanden
informierte.

Die deutsch-niederländischen Familienbande rühren unter anderem von
den Abertausenden von deutschen Wanderarbeitern her, die nach dem
Dreißigjährigen Krieg und noch bis zum Ersten Weltkrieg ein Zubrot oder
Auskommen in den Niederlanden suchten. Im Emsland und im Olden-
burger Münsterland sind diese Wanderarbeiter als Hollandgänger
bekannt. Ihre Spuren in den Niederlanden lassen sich in den Archiven
in Groningen nachvollziehen
.


Auf Einladung der Oldenburgischen Gesellschaft für Familienkunde waren
zahlreiche Familienforscher und Interessierte aus der Region nach Varel
gekommen. Angeboten wurden Hilfsmittel zur Familienforschung – vom
Programm für den eigenen Rechner bis zum Ortsfamilienbuch sowie
regionalkundliche Literatur. Viele nutzten die Möglichkeit zum Austausch
und gaben Einsteigern in die Familienforschung Tipps. Quellen für die
Familienforschung sind die Kirchbücher, die Geburten und Todesfälle
verzeichnen. Doch wie soll man die Schreibschrift des 19. Jahrhunderts
lesen ? Die Arbeitsgemeinschaft Familienforschung des Jeverländischen
Altertums- und Heimatvereins verteilte Schrifttafeln mit Beispielen der
Currentschrift des 19. und 20. Jahrhunderts, die sich wiederum von der
des 18. Jahrhunderts unterscheidet.

Eine andere Methode der Familienforschung haben Ruth Decker und Monika
von Hammel aus Cloppenburg intensiviert. Sie haben sogenannte Totenzettel
gesammelt, die an die Teilnehmer des Trauergottesdienstes und Familien
verteilt wurden. Die Erinnerungszettel mit Lebens- und Sterbedaten, manch-
mal mit Foto des Verstorbenen sind typisch für die Erinnerungskultur des
katholisch geprägten Oldenburger Münsterlandes. 60.000 Totenzettel haben
die Cloppenburgerinnen gesammelt und archiviert.

Familienforschung ist längst keine Sache von Älteren mehr. Ingo und Claudia
Paul aus Ritterhude kamen mit ihren kleinen Kindern nach Varel. Seit 15
Jahren beschäftigt sich Ingo Paul mit Familienforschung. Unter anderem
hat er an einem Projekt mitgearbeitet, dass 250.000 Personen aus dem
Memelland in einer Datenbank speichert. Gegenwärtig interessieren ihn
die jüdischen Bewohner Nordwestdeutschlands. Da kommt es gut, daß der
Heimatverein Varel an seinem Stand eine neue Veröffentlichung über die
jüdischen Bewohner eines Altenheims in Varel (die sämtlich 1941 und 1942
deportiert wurden) ausliegen hat.

Wer die Nachkommen seiner ausgewanderten Vorfahren aufspüren will,
erhält von zahlreichen Stellen Unterstützung, unter anderem im Internet
von den Staatsarchiven.

Suche in den Online-Findbüchern des Niedersächsischen Landesarchivs.
Zur Zeit für die Recherche verfügbare Archivalien und allgemeine
Bestandsinformationen. Mehr Infos unter http://www.aidaonline.niedersachsen.de

Hans Begerow / 12.10.2012

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